Ein kleines Mädchen und ein Klavier

by Constanze Bohg
little girl standing at the ocean on a pebbles beach

Gott lenkt unsere Schritte. Ich bete jeden Tag, dass er das für mich tut. Ich will für ihn Hände und Füße sein und seine Liebe in die Welt tragen. Vor kurzem bin ich 40 geworden. Zuallererst: 40 rockt! Ich liebe es, auch wenn ich mir das nie hätte erträumen können.

Bist du es wert?

Mir war ein bestimmtes Klavierhaus empfohlen worden, zu dem ich zum Probespielen fahren wollte. Auf der Hinfahrt liefen mir die Tränen. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich jetzt wirklich ein richtig gutes Klavier aussuchen würde – nach so langer Zeit des Wartens.

Als ich ankam, besprach ich mit dem Inhaber meine Vorstellungen und Wünsche und spielte verschiedene Modelle an. Es dauerte nicht lange, da blieb ich bei einem bestimmten Exemplar hängen. Dann schaute ich mir das Preisschild an. Ich holte tief Luft und betete leise: “Oh Grundgütiger! Gott, hast du das gesehen?” Es war so viel Geld und der erste Gedanke, der mir kam war: “Das bist du nicht wert!”

Der Krieg im Kopf

Das Klavier hatte alles was ich mir erträumt hatte. Die richtigen Höhen und Tiefen, handgemacht in Deutschland. Es klang exakt so wie die Melodie, die ich seit vielen Jahren im Herzen trage. Und es hatte zu allem Überfluss auch noch ein “silent System” zum stummschalten, damit man abends die Kinder nicht weckt, wenn man übt. Trotzdem überwog in mir eine Schwere und dieses Gefühl der Unwürdigkeit ob eines so teuren Wertgegenstandes.

Während ich nach Hause fuhr, sagte Gott liebevoll zu mir: “Dies ist dein Klavier, geliebte Tochter. Aber kaufe es noch nicht. Warte, bis das Geld kommt.” Sofort schossen mir Fragen über Fragen in den Kopf. Antwort kam keine.

In dem Moment, als ich zur Tür herein kam, sah mich mein Mann an und grinste verschmitzt. “Du hast es schon gefunden!” Ich nickte und erzählte ihm auch den Teil von “warte, bis das Geld kommt”. Den anderen Teil, dieses “du bist es nicht wert”, verschwieg ich allerdings.

Erwarte das Unerwartete!

Drei Wochen nach diesem Ereignis durften wir völlig unerwartet Zeuge der großen Liebe und Versorgung unseres Gottes werden. Wir waren perplex. Mein Mann wandte sich mir zu und sagte lächelnd: “Bitte ruf doch das Klavierhaus an und vereinbare einen zweiten Termin, Schatz.”

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Ich ertappte mich dabei, wie ich den Blick senkte und den Kopf schüttelte. Wieder dieser hässliche Satz in meinen Gedanken. Plötzlich fing ich das Schluchzen an und vergrub mich in der Umarmung meines Mannes. Er ließ mich eine Zeit lang weinen, dann nahm er meine Hände in seine und sagte: “Schau mich an. Ich weiß, was dein Problem ist. Du denkst, du hast das nicht verdient, bist des Klaviers nicht würdig. Das ist eine Lüge.” Alles was ich in dem Moment tun konnte, war stumm zu nicken und weiter zu weinen. Tränen, mit denen so viel Schmerz und so viel Scham aus mir herausgespült wurden. Tränen, die einen Teil meiner Vergangenheit reinigten.

Noch immer verweint aber gelöst schrieb ich dem Inhaber des Klavierhauses eine E-Mail. Nennen wir ihn in dieser Geschichte “Herr Meyer”. Ich bat um einen zweiten Termin und freute mich auf ein Wiedersehen. Dieses Mal stand unter dem Text der E-Mail meine neu hinzugefügte Signatur dabei. Ich hatte vor kurzem mein instagram account begonnen und auch den Link zu meinem Buch hinzugefügt.

Herr Meyer bestätigte kurze Zeit später meinen Terminvorschlag. Gleichzeitig bedankte er sich dafür, dass ich ihn auf mein Buch aufmerksam gemacht hatte. Er schrieb: 

Ganz herzlichen Dank für Ihren indirekten Hinweis, dass ich Sie und Ihre Geschichte schon kenne! Auch wir waren im Pränataldiagnostikstrudel … Ihr Buch konnte ich bisher noch nicht lesen, gerade habe ich es in der Buchhandlung abgeholt, und Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie es für meine Frau und mich einfach signieren würden.”

Mehr als nur ein Klavierkauf

Ein paar Tage später war ich wieder unterwegs zum Klavierhaus, dieses Mal nicht weinend sondern betend. Ich spürte, dass Gott alles vorbereitet hatte, ich wusste nur nicht, was. Eines war mir klar: Hier ging es um viel mehr als nur ein Klavier.

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Herr Meyer ließ mich nochmals diverse Modelle Probespielen aber wir wussten beide, dass ich mich längst entschieden hatte. Ich brauchte nicht weiter suchen. Wir setzten uns noch kurz und ich sah mein Buch auf dem Tisch liegen. Ich spürte, wie der Heilige Geist mir ins Ohr flüsterte: 

“Anschnallen bitte, die Fahrt geht los”

Heiliger Geist

Was danach folgte, kann ich nicht anders in Worte fassen als dass es ein heiliger Moment war. Ein Moment, der eine Stunde dauerte.

Herr Meyer erzählte mir die Geschichte über seine kleine Tochter. 

Die Geschichte von einem Baby, das nicht lebensfähig war. Vor über 35 Jahren.

Während Herr Meyer erzählte, kämpfte ich damit, meine Tränen zurückzuhalten. Ich merkte, wie arg es ihm ein Bedürfnis war, diese seine Geschichte zu erzählen. Es in Worte zu fassen. Es musste endlich einmal ausgesprochen werden. Hier und jetzt.

Eine Geschichte, die erzählt werden will

Er und seine Frau hatten bereits drei Kinder, als sich unerwartet ein viertes ankündigte. Die Pränataldiagnostik war damals weit entfernt von dem Hochtechnologie-Stand, den wir heute kennen. Aber in einer der Ultraschalluntersuchungen stellte sich heraus, dass das kleine Mädchen einen Genfehler hatte. Es würde nicht lebensfähig sein. Für die Ärzte war der Fall klar. Ein Abbruch wurde terminiert. Die Eltern fühlten sich so unter Druck und gehetzt zu dem Zeitpunkt. Sie sahen keine andere Wahl.

„Tränen haben etwas Heiliges. Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Kraft. Sie sprechen beredter als zehntausend Zungen. Sie sind die Verkünder bedrückendsten Kummers, tiefer Reue und unaussprechlicher Liebe.“

Washington Irving

Herr Meyer kämpfte mit den Tränen. Am liebsten wollte ich aufstehen und ihn umarmen. Aber ich wusste, er war noch nicht am Ende seiner Erzählung. Ich wollte diesen heiligen Moment nicht stören.

Also fuhr er fort und sprach davon, wie er und seine Frau seit dieser Entscheidung eine furchtbare Last mit sich tragen. Wie schwer es war, diese kleine Tochter gehen zu lassen. Ich wollte ihn gerade fragen, ob sie jemals daran gedacht hatten, dem Kind einen Namen zu geben, als er plötzlich tief Luft holte und sanft lächelte. Er brauchte einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln. Dann erzählte er mir noch eine Begebenheit.

Begegnung der besonderen Art

Kurz vor meinem ersten Besuch im Klavierhaus war seine Ehefrau übers Wochenende verreist. Ein Kulturwochenende inklusive eines Besuches in einem Nonnenkloster. Das Kloster veranstaltete einen “Tag der offenen Tür”, und die Nonnen führten die Besucher herum und beantworteten Fragen. Frau Meyer kam mit einer der Nonnen ins Gespräch und bald ging es nicht mehr um oberflächliches.

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Letzten Endes erzählte Frau Meyer der Nonne von ihrer Last seit der Abtreibung viele Jahre zuvor. Sie sprach darüber, wie dieses Kapitel in ihrer Familie noch heute verschwiegen wird. Wie anstrengend es ist, dass es da einen Teil ihres Lebens gibt, über den man “eben nicht redet, weil sich das nicht gehört.” Die Nonne, deren Name “Maria-Angelika” war, betete noch mit Frau Meyer. Als sie und ihr Mann sich nach dem Wochenende wiedersahen, sprachen sie über den Besuch im Kloster. Frau Meyer sagte: “Schatz, ich habe jetzt endlich einen Namen für unsere Tochter! Diese Nonne war so liebevoll, so freundlich und herzlich. Ihr Gesicht strahlte so! Ich möchte gern unserer Tochter den Namen Maria-Angelika geben.”

Maria bedeutet “geliebt”. Angelika bedeutet “die Engelhafte”.

Lass dein Leben ein Teil des großen Ganzen sein!

Kurz nach dieser Begebenheit begann Herr Meyer, mein Buch zu lesen.

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Ich saß da und war sprachlos. Wieder einmal war ich Teil eines Puzzles im Leben eines anderen. Aus menschlicher Sicht war es schräg, wie alles irgendwie zusammenpasste und sich gefügt hatte. Aber nach alledem, was ich mit Gott schon erlebt habe, kann ich nur schmunzeln. Gleichzeitig spüre ich eine Freude wie ein Kind vor Weihnachten. Weil ich weiss, dass Gott mich immer wieder gebraucht, um anderen durch meine Geschichte Wiederherstellung und Heilung zu bringen.

Das Klavier wurde kurz nach meinem Geburtstag angeliefert. Ich sehe es jeden Tag an und lächle. Es ist nicht nur ein Instrument, das im Wohnzimmer steht. Ganz im Gegenteil! Es steht für so viele Wunder, die ich schon erlebt habe. Noch mehr – es steht für die befreiende und heilsame Liebe Gottes. Eine Liebe, die so groß ist, dass sie auch die Vergangenheit heilt und von Scham und Schuld befreit.

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1 Kommentare

Rahel 26. Juni 2020 - 12:55

Liebe Constanze, danke, dass du diese Geschichte teilst. Gottes Liebe heilt. Er ist der beste Puzzler.

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